Position der KOS zur aktuellen Debatte um Fußballgewalt

Logo KOS (Koordinationsstelle Fanprojekte)Die Koordinationsstelle Fanprojekte nimmt zu den aktuellen Diskussionen rund um das Thema Gewalt beim Fußball Stellung. Gefordert ist aus Sicht der Fanprojekte eine differenziertere Betrachtung ohne populistische Forderungen. Eine Lösung ist nur unter Einbindung der Fanszenen selbst möglich. Hier leistet die sozialpädagogische Fanarbeit unverzichtbare Vermittlung zwischen den Akteuren.

In den letzten Wochen kursieren in der Debatte um den Umgang mit gewalttätigen Ausschreitungen nach unterschiedlichen Vorfällen („Platzsturm“ in Berlin, Verletzte durch Pyrotechnik in Nürnberg) vor allem repressive Vorschläge und Forderungen. Aus unserer Sicht sind diese – häufig populistischen – Maßnahmen abzulehnen. Sie helfen nicht, Zusammenhänge und Hintergründe richtig einzuordnen und zu verstehen. Sie gehen am Kern der Probleme vorbei und nehmen die Ursachen der vorhandenen Missstände nicht ernst.

Was leisten Fanprojekte?

Wir stellen fest, dass offenbar bei zu vielen gesellschaftlichen Instanzen (z. B. Polizeigewerkschaften, Politik usw.), ein unzureichender Wissensstand bezüglich der Arbeit der Fanprojekte vorhanden ist. Fanprojekte sind keine Projekte von Fans. Vielmehr arbeiten sie innerhalb des Nationalen Konzeptes Sport und Sicherheit seit 1993 als Institutionen der Jugendhilfe für und mit jugendlichen Fans. Die (in der Regel) sozialpädagogisch ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind unabhängig von den Bezugsvereinen und der Polizei auf der gesetzlichen Arbeitsgrundlage des Kinder- und Jugendhilfegesetzes tätig.

Unserer Ansicht nach muss Gewaltbereitschaft aus der Fanszene in erster Linie mit der Fanszene bzw. durch die Fanszene kritisiert werden. Hier leisten Fanprojekte als Vermittlungseinrichtung zwischen den verschiedenen Interessengruppen unverzichtbare Dienste. Fanprojekte initiieren und begleiten diese selbstregulierenden Prozesse.

Fehlverhalten hinterfragen

Zudem muss unterschieden werden zwischen gewalttätigen Ausschreitungen zwischen Fangruppen und Vorfällen, die sich gegen Ordner oder Polizei richten. In der Wahrnehmung vieler Fans und Ultras ist derzeit die Polizei der „Hauptgegner“, es werden Repressionen, Willkür und Schikanen angeprangert – in einigen Fällen durchaus zu Recht. Ordnungskräfte wie Polizei sind gleichermaßen in der Pflicht, eigenes Fehlverhalten selbstkritisch zu analysieren und Übergriffe zu sanktionieren. Dies geschieht aus Sicht der meisten Fans nur ungenügend und trägt zur Festigung des Feindbildes Polizei bei. Auch die Rolle des Polizeiverhaltens bei einzelnen Einsätzen muss kritisch hinterfragt werden dürfen. Das haben Vorfälle wie in Düsseldorf, Hamburg, Karlsruhe oder jüngst in Aue gezeigt. An anderen Orten wie etwa in Hannover ist in enger Zusammenarbeit von Polizei, Fanprojekt und Verein ein positiv wirkendes Konfliktmanagement-Modell entwickelt worden, von dem alle Seiten profitieren.

Personalisierter Kartenverkauf

Der personalisierte Kartenverkauf ist kein geeignetes Mittel, um gewalttätige Ausschreitungen zu verhindern. Gewaltbereite Fans sind in der Regel bekannt und werden bei Vorfällen durch die Videoüberwachung schnell überführt. Personalisierte Tickets haben daher aus gewaltpräventiver Sicht keinen Nutzwert. Ganz im Gegenteil, eine solche Maßnahme würde von der Mehrheit der Zuschauer als reine Schikane wahrgenommen werden.

Stehplätze abschaffen?

Ein Abbau der Stehplätze, wie unter anderem von der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Polizei gefordert, hätte noch ungleich negativere Effekte: Die deutsche Bundesliga ist weltweit ein Erfolgsmodell: die Besucherzahlen, die Stimmung in den Stadien und die Vielfalt der Fans und Zuschauer sind so weder in der spanischen, der italienischen noch in der englischen Liga zu finden. Dass der Stadionfußball in Deutschland bei breiten Bevölkerungsschichten Zuspruch findet, liegt auch daran, dass es ein vielfältiges Angebot gibt: von VIP-Logen über Sitzplätze auf der Haupttribüne oder im Familienblock bis zu den Stehplätzen. Letztere tragen mit ihrer Stimmung, den Choreografien und der Kreativität wesentlich zum – auch ökonomischen – Erfolgsmodell Bundesliga bei. Dieses Gleichgewicht zu zerstören, wäre unverantwortlich und kurzsichtig.

Ganz nebenbei: Die Geschehnisse in Berlin hatten mit dem Vorhandensein von Stehplätzen nichts zu tun, im Olympiastadion gibt es keine Stehplätze! Der Hamburger SV erweitert derzeit sein Stehplatzkontingent aus gutem Grund – für die Stammbesucher von morgen. Von der größten Stehtribüne Europas in Dortmund mit fast 25.000 Stehplätzen, sind keinerlei negative Vorfälle bekannt. Forderungen die Stehplätze abzuschaffen, müssen von der gesamten Fanszene als Kampfansage verstanden werden. Von daher erhärten sie die Konflikte!

Geisterspiele und Beschränkungen für Auswärtsfans

Ähnliches gilt auch für Forderungen nach Geisterspielen und Beschränkungen der Auswärtsfans. Diese Maßnahmen müssen unserer Ansicht nach in der Verantwortung der direkt betroffenen Vereine bzw. der Verbände bleiben und nur in begründeten Einzelfällen zielgerichtet eingesetzt werden. Generelle Überlegungen, Auswärtsfans nicht mehr zuzulassen, gehen am Kernproblem vorbei und werden ebenfalls die Konflikte verschärfen.

Ausblick

KOS und Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte (BAG) www.bag-fanprojekte.de beobachten gleichfalls besorgt eine zunehmende Gewaltbereitschaft, insbesondere in den Ultraszenen. Diese Entwicklung, die sich sinnbildlich in grenzüberschreitenden Aggressionen gegenüber Spielern und Funktionären äußert, ist besorgniserregend, nicht erst nach den Drohgebärden der Hertha-Fans.

Diese problematischen Verhaltensformen beschränken sich allerdings nicht nur auf die Gruppe der Ultras, sondern finden ebenfalls große Akzeptanz in weiten Teilen des Publikums (Busblockaden, „Scheiß-Millionäre“ usw.). Einiges spricht dafür, dass diese Entwicklung ihre Ursache in der zunehmenden Kommerzialisierung und der wachsenden Entfremdung der Vereine und Fußball-Kapitalgesellschaften von ihren Zuschauern hat. Dies darf jedoch keine Rechtfertigung für Gewalt und Diskriminierung sein. Ein selbstkritischer Umgang der Fans mit ihrer eigenen Haltung ist dringend notwendig. Das heißt auch: Die größte Verantwortung und die größte Chance liegt in der Fanszene selbst.

Um eine stärkere Reflexion und Selbstverantwortung der Fanszene zu erreichen und uneinsichtige Gewalttäter auch von innen auszugrenzen, sind die pädagogische Fanarbeit und die Fanbetreuung der Vereine der richtige Weg. Allerdings muss die Fanprojektarbeit dafür einen angemessenen Ausbau und eine größere Akzeptanz erfahren. Derzeit arbeiten bundesweit nur ca. 90 Hauptamtliche in 42 Fanprojekten, die 47 Fanszenen betreuen. Durchschnittlich noch nicht einmal zwei Sozialarbeiter/innen, die es mit Gruppen und Szenen zu tun haben, die in die Zigtausende gehen. Das ist deutlich zu wenig.

Angesichts der finanziellen Notlagen vieler Kommunen, wie auch den Ländern, rufen wir alle Beteiligten dazu auf, gemeinsam an konstruktiven Lösungen zu arbeiten, um das in Europa einzigartige Modell der präventiven Sozialarbeit mit Fußballfans auszubauen.

Die Wirkung der pädagogischen Arbeit der Fanprojekte reicht weit über den Fußball hinaus. Sie unterstützt mithilfe der verbindenden Wirkung des Fußballs und seiner besonderen Fankultur die demokratische Erziehung vieler Jugendlicher, und zwar auch solcher junger Menschen, die über andere Einrichtungen nicht erreichbar sind. Somit leistet die Fanarbeit einen wichtigen Beitrag für das gesamte demokratische Gemeinwesen.

(Quelle: www.kos-fanprojekte.de/index.php)